November 07, 2008

Von Peak Oil zu Peak Aldi: Plädoyer für eine Ökonomie der Nähe

Von Peak Oil zu Peak Aldi: Plädoyer für eine Ökonomie der Nähe

„Arbeit und Liebe“, antwortete Sigmund Freud auf die Frage, was den Menschen wirklich glücklich macht. Glück – das wusste schon Aristotelesist das einzige Gut, das der Mensch um seiner selbst willen anstrebt. Alle anderen Güter sind meist deshalb erstrebenswert, weil wir glauben, dass sie uns glücklich machen. Es liegt allerdings in der Natur des Glücks, dass es sich immer nur im hier und jetzt ereignen kann.
Seitdem sich Europa aufmachte die Welt zu entdecken, lautete der Schlachtruf der Moderne allerdings „plus ultra“: „immer weiter, immer größer, immer schneller“. Das Glück gab es nur um den Preis einer Anstrengung deren Lohn immer in der Zukunft liegen würde. Auf die kühnen Entdecker, Erfinder und Denker der Neuzeit, die den Menschen Freiheit, Gleichheit und Fortschritt bringen wollten, folgte der Siegeszug einer gigantischen, globalen Megamaschine, von der keiner mit Gewissheit sagen kann, wie man sie in eine zukunftssichere Richtung lenkt. Vor allem die Geschwindigkeit mit der die Zerstörung von natürlichem und kulturellem Erbe voranschreitet macht zu Recht Angst. Die Komplexität mit der wir es in Sachen Weltgesellschaft, Weltwirtschaft und Weltfinanzmärkten zu tun haben, lassen selbst die mutigsten globalen Lenker und Denker an der globalen Steuerbarkeit dieser Prozesse verlieren. Doch weniger wir an dieser Utopie festhalten können, desto bedeutender wird die Region und alles, was wir selber noch wirklich in der Hand haben.
Neil Postman vergleicht uns mit einem Autofahrer, der auf einer Schnellstrasse mit hoher Geschwindigkeit in ein unbekanntes Land fährt. Im Kopf eine Landkarte, die die Zukunftsforscher uns gemalt haben. Doch alle unsere Prognosen über die Zukunft beruhen auf Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Die rasende Fahrt nimmt unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Es bleibt kaum Zeit darüber nachzudenken, warum wir das, was wir tun, tun, wofür und für wen es wirklich gut ist. Wir sind so mit Beherrschung der Technik und dem ewigen „Changemanagement“ beschäftigt, dass wir keine Zeit haben aus der Vergangenheit zu lernen. Kaum etwas sagt mehr über die Werte einer Kultur aus, als das, was ihr bewahrenswert erscheint. Es müssen ja nicht immer Dinge sein.

Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, sagt der Volksmund. Das stimmt und ist gut so. Und täten sie es, könnten wir das wunderbare Rauschen des Windes in ihren Blättern nicht hören. Wäre das nicht wirklich schade?

Es gibt in der Natur kein Mengenwachstum und kein Größenwachstum das unendlich ist. Die Natur ist – das stimmt – ungeheuer reich und verschwenderisch und wir haben noch lange nicht die großartigen Möglichkeiten ausgeschöpft die darin liegen, in eine echte co-produktive Partnerschaft mit ihr einzutreten. Nichts spricht gegen Vertrauen in eine gute Technik und die Arbeit an innovativen Lösungen. Solange damit nicht die ständige Entwertung all dessen einhergeht was schon ist und der starre Blick durch die Frontscheibe uns nicht daran hindert, zu tun, was jetzt getan werden muss. Wie sagen wir in der Nachhaltigkeits-Community so schön: der Weg entsteht beim Gehen. Aber jeder Schritt muss in die richtige Richtung gehen.

Grenzen unsere Art von Umgang mit der Natur betreffend, gibt es nicht nur in Bezug auf die Verfügbarkeit von Öl. Da wir heute schon so viel wichtiges und richtiges über das Thema Energie gehört haben, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf andere Engpässe lenken, die nicht minder wichtig sind. Nachhaltige Entwicklung, erfordert ganzheitliches Denken. Nachhaltigkeit wird nicht umsonst in drei Kategorien gedacht und dekliniert: ökologisch, sozial und ökonomisch. Neben dem Wohnen gibt es viele weitere Bedürfnisfelder, mit denen nicht nur zu viel Energieverbrauch verbunden ist, sondern auch die Erschöpfung weiterer wichtiger Ressourcen. Nicht nur die Technik beeinflusst diese Entwicklung auch soziale Prozesse. Für die Energiebilanz des Bedürfnisfeldes Wohnen ist die Siedlungs- und die Haushaltsstruktur in der wir leben von großer Bedeutung. So hat der dramatisch hohe Anteil an Single - haushalten negative Folgen auf den Energieverbrauch. Er bedeutet, dass in jedem dieser Haushalte eine Waschmaschine steht, ein Fernseher, ein Trockner, ein Computer der von nur einer Person genutzt wird.

Und die Kehrseite dieser extremen Individualisierung ist eine wachsende Einsamkeit, zumal in den Städten, die immer mehr Menschen krank macht. Ganz zu schweigen von den sozialen und ökonomischen Problemen, die sich aus dem Altern der Industriegesellschaft in Zukunft ergeben.

Was mir auch zu kurz kam, ist die Erkenntnis, dass wir immer dann, wenn wir enthusiastisch über technischen Fortschritt sprechen – z.b. über eine neue Generation energiesparender Geräte – berücksichtigen müssen, dass die technische Lebensdauer von Produkten, z.b. von Elektrogeräten oder Autos und ihre Teile fast nie ausgenutzt werden. Waschmaschinen, die fünfzehn Jahre laufen könnten und auch sollten, werden oft nach vier Jahren entsorgt, weil eine Reparatur im Verhältnis zum Neukauf teuer erscheint. Diese Welt ist nicht nur zu klein um jedem Weltbürger ein Auto zu geben. Sie ist auch zu klein, um alle drei Jahre eine funktionierende Produktgeneration durch eine Neue zu ersetzen, die sich nur durch irgendein dummes Zusatzfeature oder neues Design auszeichnet. Ich halte diese Aussage solange aufrecht, wie in keiner Weise absehbar ist, dass auch Strategien der Ressourceneffizienz und einer wirklich nachhaltigen industriellen Kreislaufwirtschaft auf der Agenda stehen. Oder denken wir kurz an das Thema Ernährung. Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat nicht nur die ländlichen Räume leergefegt und in ihrer Funktionsfähigkeit an ihre Grenzen gebracht. Damit wir Fleisch oder Fisch essen können, müssen anderswo Kinder hungern oder Urwälder gerodet werden. Die Meere sind zunehmend leergefischt. Immer mehr Tier- und Pflanzenarten sterben aus oder sind gefährdet. Auch wenn es um Unsere Produkte geht und um das, was sie mit uns im Alltag machen, können wir nicht glücklich sein. Wer hat sich jemals vorstellen können, dass die Welt sich in zwei Gruppen von Menschen teilen würden: die einen, die nur noch darüber nachdenken, wie sie abnehmen können und die anderen die nicht mehr wissen, wie sie sich und ihre Kinder ernähren würden. Schlimm ist, dass die sozialen Unterschiede zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen weltweit in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind.

Doch kommen wir noch einmal auf das eingangs angesprochene Glück zu sprechen. Wirtschaftswachstum, dies war zumindest noch in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts Konsens, sollte dem Glück der Menschen dienen. Der Tayloristische Gesellschaftsvertrag, der nach dem zweiten Weltkrieg zwischen den Gewerkschaften und der Wirtschaft geschlossen wurde besagte: Die Arbeitnehmer, vertreten durch Gewerkschaften, akzeptieren eine Arbeitswelt, die immer anstrengender, sinnentleerter und produktiver wird. Dafür erhalten sie im Gegenzug steigende Gehälter, immer mehr Konsum und Freizeit. Dieser Gesellschaftsvertrag hat in der heutigen globalisierten Wirtschaft keine ökonomische und soziale Grundlage mehr. Wir sind produktiver denn je und haben mehr Arbeitslose denn je. Europas Arbeitswelten erleiden das gleiche Schicksal wie in den USA oder in Japan. Aus Arbeitnehmern mit Perspektive werden Jobholder, die sich selber ein Leben lang immer wieder neu vermarkten müssen. Die Zahl der Billiglohnjobs ist bei uns dramatisch gestiegen. Und immer mehr Menschen brauchen zwei Jobs um ihre Familien ernähren zu können. Hochverdichtete Arbeitswelten führen zu Arbeitsplätzen an denen Menschen acht Stunden am Tag am Computer-Bildschirm Kästchen anklicken, Formulare bearbeiten, Standard-Prozesse Managen, im Call-center telefonieren oder an der Supermarktkasse schuften. Daimler - Benz, so war gerade zu lesen, ist zur Fließbandarbeit alten Musters und zum Zwei-Minuten-Takt zurückgekehrt. Die Supermärkte an der Peripherie der kleinen Städte und im ländlichen Raum machen sich gegenseitig Konkurrenz. Dafür stehen die kleinen Läden in den Innenstädten in Deutschland leer. Geiz war in den letzten Jahrzehnten so geil, dass uns überall kleine Unternehmen, Fachgeschäften, lokale Infrastruktur, Vielfalt und Lebensqualität weggebrochen ist.

Als jemand der es gewohnt ist, alles was mit dem Thema oder dem Begriff Handwerk zu tun hat, sehr aufmerksam wahrzunehmen kann ich nur sagen: nichts sagt mehr über den Verlust an Vielfalt und Qualität aus, als die verlogene Art und Weise, wie für Industrieprodukte geworben wird. In der Fernsehwerbung werden Pizza und Käse immer von der Sennerin oder der italienischen Mama von Hand hergestellt. Selbst Mercedes Benz verkauft seine am Fließband erzeugten Autos, indem es Geschichten über das Schneider- und Uhrmacherhandwerk erzählt. Die Wahrheit hinter den Produkten möchte kein Mensch sehen. Mit gutem Grund. Die Pseudovielfalt an Käse und Aufschnitt in den Regalen der Supermärkte erweist sich als verlogener Schein. Schmeckt das, was wir uns nachher aufs Brot legen doch fast immer gleich. Dazu leistet auch die Obstqualitätsnormenverordnung ihren Beitrag. Sie sorgt dafür, dass nur Normobst und Normgemüse in den Einkaufskorb kommt. Ganz egal ob es frisch ist und wie es schmeckt.

Diese Wertschätzung der besonderen Qualität handwerklicher Produkte und Dienstleistungen ist – wenn es denn mehr als Propaganda ist – und wirklich gelebt wird, ist allerdings etwas, das für mich viel mit Zukunftssicherheit und Nachhaltigkeit unserer Kultur zu tun hat.

Zumal das, was die Schulbücher uns so immer noch glauben machen wollen, dass nämlich die Industrie das Handwerk überflüssig gemacht habe, ist nicht wahr. Wir haben in Deutschland oder Österreich noch immer in nahezu allen Branchen eine große Zahl von Handwerksunternehmen, die mit oder ohne Hightech vor Ort produzieren. Und wir finden auf dem Lande eine stetig wachsende Zahl von Direktvermarktern und kleinen aber feinen Manufakturen. Handwerk, das sind Unternehmen in denen jungen Menschen eine Ausbildung erhalten, die darauf angelegt ist, ein Produkt über seinen ganzen Lebenszyklus hinweg, von der Planung über die Produktion bis zum Verkauf und der Wartung vollständig selber in der Hand zu haben und zu managen. Mit der Chance sich früher oder später selbständig machen zu können: als Handwerker, Künstler oder Unternehmer. Der Aufstieg der Kreativen Klasse, den der Amerikaner Richard Florida so euphorisch begrüßt, ist in diesem Sektor keine Nachricht wert. Denn die Kreativen, sie sind und waren hier schon immer zu Hause.

Handwerk ist noch immer das Rückgrat der lokalen und regionalen Ökonomie und der Wirtschaftsbereich mit dem wir eine Ökonomie der Nähe realisieren können. Handwerk ist auch eine Arbeitswelt, in der der Mensch die Möglichkeit hat, seine Arbeit um ihrer Selbst willen und weitgehend selbstbestimmt gut zu machen.

Dass die Zukunft in einem neuen Typus von dezentraler Entwicklung liegt, und die hiermit verbundenen Chancen nicht hoch genug eingeschätzt werden können, dies ist meine Überzeugung. Und ist weniger Utopie als die erfolgreich gelebte Wirklichkeit zahlloser Handwerker und anderer KMU in Deutschland und Europa. Dezentrale Energie- und Wasserversorgung, schafft und sichert Arbeit für das Bauhandwerk aber auch für Handwerksbetriebe die im Elektro-, Sanitär- oder Metallhandwerk tätig sind. Der ländliche Raum wird der Gewinner von morgen sein, wenn wir – wie dies an immer mehr Orten heute geschieht - die Rohstoffe nicht nur der Industrie zuliefern sondern wieder dazu übergehen sie vor Ort nach alten und neuen Rezepten zu veredeln. Die Biobewegung in Deutschland hat es vorgemacht. Höfe auf denen in der konventionellen Landwirtschaft nur ein Landarbeiter sein Auskommen findet, beschäftigen geben zehn bis zwanzig und noch mehr Menschen eine gute, eine sinnvolle Arbeit und Zukunft. Wir haben in Schleswig-Holstein heute über 30 neue, junge Käsereien die jeden Supermarkt nicht nur an Qualität sondern auch in Sachen Vielfalt übertreffen.

Eine nachhaltige Kultur und nachhaltige Lebensstile muss sich nicht nur darüber Gedanken machen, wie viel Energie die Herstellung eines Produktes verbraucht, sondern auch was die Arbeit mit den Menschen macht, die sie ausüben und was das Produkt mit uns macht, wenn wir ihnen in unserem Leben einen Platz geben. Und es kann nicht sein, dass wir uns immer nur darum sorgen, dass der Kaffee fair erzeugt wird. Dies sollte auch für das Brötchen gelten, das beim Bäcker gebacken wird.

Es war John Ruskin der wichtigste Theoretiker der Arts and Crafts Bewegung, der schon Mitte des 19. Jh. die wichtigsten Forderungen aufgestellt hat, die auch heute unsere Leitschnur sein könnten und die für eine neue Kultur der Arbeit und eine neue Kultur des Konsums stehen:

  • Unterstütze nicht die Herstellung von Artikeln, die der Erfindungsgabe keinen Raum lassen.
  • Verlange nicht Perfektion als Selbstwert, sondern nur, wenn sie einem praktischen Ziel dient.
  • Unterstütze keine Produktion, die nur imitiert, es sei denn sie dient der Reproduktion großer Kunstwerke.
  • Kaufe nur Produkte originaler Arbeit
  • Kaufe nur haltbare Produkte, also Produkte die altern können.
Nachhaltigkeit erfordert nicht nur die passenden Antworten auf Peak Oil. Eine der wichtigen Konsequenzen, die sich für die Zukunft ergeben ist auch ein kultureller Wandel in der Konsum- und Arbeitswelt, der einen Peak Aldi voraussetzt.
(c) Gemäss § 5 Abs.3 MarkenG wird Titelschutz in Anspruch genommen für: Ökönomie der Nähe / Peak Aldi ; M.A. Ax; Bruno-Lauenroth-Weg 4, Hamburg

Hausmarke: Karin Hertz / Hamburg

Foto: Catarina Grzybowski / Aachen

September 19, 2008

GPM Klausur - Architektur im Dialog


Mit sich selber

Das Abaton war ausverkauft. Schon um Uhr 18.30 gab es keine Karte mehr für eine Vorstellung, die um 20.00 beginnen würde. Auf dem Programm stand die Sondervorstellung „GMP Klausur – Architektur im Dialog“. Die Dame an der Kasse entschuldigt sich. Die Gästeliste sei so lang gewesen. Es waren nur wenige Karten im freien Verkauf. Gerkan und sein Partner Marg, Sterne am hamburgischen Architekturhimmel, die weltweit leuchten, würden an diesem Abend persönlich erscheinen. Kein Wunder, dass viele Besucher enttäuscht abzogen. Wer Glück hatte und eine der wenigen frei verkäuflichen Karten erwischt hatte, bekam über eine Stunde GMP Architektur auf die Augen und auf die Ohren. Manchmal auch „dialogisch“. GMP diskutiert mit GMP über GMP. Dokumentiert wurde ein „Klausurtagung“ zu der sich die GMP Partner auf Mallorca zurückgezogen hatten. Das Ambiente war, wie es der gebildete Europäer von heute liebt: alte Mauern, umgeben von Kultur und Geschichte auf hohem Niveau: mit Swimmingpool und Poggenpohlküche.

Der Film macht uns – sehr dosiert und bewusst in Szene gesetzt - zu Zeitzeugen dieses Meetings: GPM-Partner bewerten GPM Gebäude, diskutieren und bewerten. Immer auf der Suche nach dem gemeinsamen Nenner. Was ist GMP? Für was steht GMP? Aus Unternehmerischer Sicht ging es um die Marke und um das damit verbundene Alleinstellungsmerkmal für den internationalen Architekturmarkt.

Dass es sich also weniger um Film oder Kunst als um eine PR Veranstaltung für GMP handelte, dieser Eindruck drängte sich nach kurzer Zeit nicht nur auf sondern wurde wenig später zur Gewissheit. Die Architekten, darauf angesprochen, fanden es ganz normal. Schließlich seien die Bücher, die sie schreiben auch nichts anderes als die Vermarktung der eigenen Philosophie. Warum also nicht auch filmisch diesen Zweck verfolgen. Dass ein Kino wie das Abaton dieses Spiel mitspielt und Eintritt verlangt erscheint dennoch fragwürdig. Doch das steht auf einem anderen Blatt.

Monadisch monologisch ?

Der Film: Staunend nehmen wir die emphatischen Kommentare der Sprecherin über das Parkhaus am Hamburger Flughafen zur Kenntnis. Ein Gebäude so schlicht und funktional dass es kaum auffällt. Ein Gebäude, das genau deshalb der GPM Philosophie entspricht. Schade, sagt einer, dass man es nicht patentieren kann um es überall auf der Welt zu reproduzieren. Schade, dass von Architekten erwartet wird, dass sie sich immer etwas neues einfallen lassen. Das Grundthema der GPM Architektur ist die einfache Form erbaut mit natürlichen Materialien. Sehr viel Glas und Stahlbeton. Manchmal auch Holz. Eher weniger. Eine funktionale Architektur. Eher aus der Perspektive von Bauingenieuren konstruiert als vom Künstler erträumt und empfunden.

Nicht „geschmäcklerische Kraft“ hat sich GMP auf die Fahnen geschrieben, sondern das Durchhalten der einfachen, der funktionalen Lösung, die ja überall auf der Welt funktioniere und daher – wie kann es anders sein – auf der ganzen Welt fast gleich aussieht. Funktionale Bauten: ein Universum an Stahlbetonkonstruktionen, rechtwinklige Fenster- und Fassadenorgien, die in Shanghai oder Daressalam nicht anders aussieht als am Hamburger Hafen. Nur manchmal darf es auch eine Raute sein oder ein anderes am liebsten schlichtes, geometrisches auflöst.“ Das künstlerisch, expressive oder gar geschmäcklerische ist gar nicht GPMs Sache Ornament. Die Welt befindet sich wenigstens hier in Reih und Glied, in einer auf den ersten Blick verständlichen aber auch langweiligen Ordnung. Geometrie ist für Gerkan der „gemeinsame Nenner, in das alles sich irgendwie fügt“. Denn Architektur, sagt Gerkan, ist die Kunst, die am meisten auf dem Intellekt beruht und am wenigsten von der Intuition geprägt ist. (Kunst also im Sinne von Können?). Man könnte dieser typisch norddeutsch-prosaischen Haltung etwas abgewinnen, sähen sich die Ergebnisse in aller Welt nicht so erschreckend ähnlich.

„Nur nicht anbiedern“ ist, so erfahren wir, ein weiterer GMP-Wert. Ganz gleich ob in Hamburg gebaut wird oder in Shanghai. Für die ganze Welt gelten die gleichen funktionalen Grundsätze. Selbstquälerisch geißelt sich im Film ein junger Wilder: Ging man vielleicht nicht doch zu weit, als man in China ein Dach eine Form gab, deren Anmut an eine stilisierte Wasserlilie erinnert? Als Hommage an die asiatische Seele?

Auf jeden Fall ist es ein Einzelfall geblieben. GMP in Peking ist inzwischen genau so gut organisiert, dass sich auch der Hamburger GMP-Architekt dort wie zu Hause fühlen kann. Auf dem Flug nach Peking, hören wir, hat der GMPler kein Magengrummeln mehr, was ihn in China erwartet. GPM, das ist, ganz wie ein GPM-Gebäude ein Stück Heimat, egal wo man sich auf der Welt befinden.

GPM steht für das Durchhalten und Durchsetzen einer ort- und zeitlosen internationalen Architektur, die für alle Fragen und alle Orte die richtigen Lösungen hat, weil sie nämlich auf einer überlegenen Methode beruht, die jeden Selbstzweifel an der eigenen Vortrefflichkeit verbietet. Das Geheimnis von GPM ist das Dialogische Entwerfen auf der Grundlage von Einfachheit und Vielfalt. GMP suggeriert in der Lage zu sein mit einer wissenschaftlichen Methode zu Lösungen zu kommen, die nicht zur Diskussion stehen. Wo GPM baut ist nicht nur die Moderne zu Hause sondern auch der erbarmungslose Glaube an ihre überhistorische Aufgabe. Es ist das alte Plus Ultra, das wir aus der Geschichte kennen!

Die von GPM neu gegründete Akademie formuliert ihr Verständnis von Dialogischer Architektur übrigens wie folgt:

„Die GPM Lehre basiert auf dem Dialogischen Entwerfen. Es geht davon aus, dass der Architekt die Gesellschaft vertritt und nicht sich selbst.“

Der GPM Architekt tritt also in einen Dialog mit sich selber ein. Er vertritt in diesem Dialog sowohl den Architekten als auch die berechtigen Anforderungen der Gesellschaft an den Planungsprozess. Dank dieser ausgefeilten Dialogtechnik kommt der Architekt immer zu einem einstimmigen Ergebnis, das er dann kraftvoll vertreten kann und das überall auf der Welt seine Gültigkeit hat.

Über den Vorteil im Auftrag von Diktatoren zu planen.

Angesichts von so viel Selbstbezüglichkeit und Selbstgewissheit lag es nahe, dass ein Zuschauer die Frage aufwarf, ob es nicht irgendwie auch von Vorteil sei, für ein diktatorisches Regime zu planen. Immerhin könne man dort völlig frei ganze Städte von der Größenordnung Frankfurts planen. Und in Hamburg sei es doch oft sehr schwierig eine gute Entscheidung herbeizuführen.

Nun, es gibt Fragen, auf die man nur falsche Antworten geben kann. Diese Frage gehörte ohne Zweifel dazu. Drum wollen wir es der Phantasie des Lesers überlassen, wie ein Star-Architektenduo darüber denkt. Wir wissen jedenfalls wie es sich im wirklichen Leben dazu verhält. Wie sagte Berthold Brecht so unnachahmlich schön und treffend: „Die Bourgeoisie hat von ihrem Standpunkt aus gesehen recht. Das Unrecht besteht in ihrem Standpunkt.“

Dass aber jeder echte Dialog eine ganz neue Qualität erzeugen kann, wenn der Dialog nicht nur mit sich selber sondern auch mit Vertretern der realen Welt und ihrer Widersprüche geführt wird, dafür war nicht nur dieser Abend im Abaton ein Beispiel. Auch die von GPM neu gegründete aac-hamburg Akademie berücksichtigt dies. Sie tritt an, um eine junge, internationale Architekturelite nach Bild von GPM formen. Und an dieser Akademie haben, wie Gerkan und Marg betonten, just in diesen Tagen auch Themen wie Ressourcenschonung, Region, Identität und Nachhaltigkeit einen Platz. Unter dem Markenzeichen GPM, versteht sich. In Hamburg darf man bekanntlich jede Farbe tragen. Hauptsache sie ist blau.
(c) Text: Andreas Grzybowski
(c) Pics: Theresa Mayer, Wien

Mai 29, 2008

BauKultur

Wer die Zukunft denkt, muss die Herkunft verstehen. Denn nichts im Leben ist voraussetzungslos. Dies gilt vor allem für das Bauen. Früher nannte sich der Bauhandwerker „Baumeister". In Österreich tun dies unsere Kollegen noch heute und viele von ihnen sind damit nicht nur beneidenswert glücklich sondern auch bemerkenswert erfolgreich. Es muss daran liegen, dass das Thema Bauen in Österreich - zumal in den Regionen ein ???- etwas mit der eigenen Kultur zu tun hat. Wer etwas auf sich hält, lässt sich dort die Küche noch vom Tischler als Einzelstück anfertigen und spricht mit Stolz darüber.

Das Meisterliche beginnt im Kopf und es braucht den ganzen Menschen: Hand, Herz und Verstand. Nur wer das Ganze im Auge behält und versteht, wird ein wirklich guter Baumeister sein und nicht nur ein Kaufmann oder Unternehmer. 125 Jahre BauInnung, das ist ein guter Grund zur Ortsbestimmung, das ist ein guter Anlass, aus dem Vergangenen zu lernen und in die Zukunft zu denken.

Wer Zukunft als Ableitung aus dem Gestrigen denkt, hat heute schon verloren, ist ein ewig gestriger. 150 Jahre Industriegeschichte haben uns an einen Wendepunkt geführt. So wie es im 20. Jahrhundert war, geht es nicht weiter. Vieles muss anders werden, damit das, was uns wertvoll ist, erhalten bleiben kann.

Die letzen 125 Jahre sind geprägt vom Aufstieg und der Dominanz des homo oeconomicus. Wir Industrieländer, die ihn hervorgebracht haben, haben in den letzten 125 Jahren mit immer effizienteren Werkzeugen unvorstellbaren Reichtum aber auch unvorstellbare Armut und Umweltzerstörung in die Welt gebracht. Kulturen und Strukturen, die über Jahrhunderte im Gleichgewicht waren, wurden in wenigen Jahrzehnten zerstört und zugrunde gerichtet. Die Globalisierung und eine „entgrenzte" Gier verwahrloster Eliten nach immer mehr Geld operieren am offenen Herzen unserer Kultur. Diese Entwicklungen gefährden den sozialen Zusammenhalt. Dabei geht mehr verloren, als es Zahlen jemals ausdrücken können.

Was ist unsere Aufgabe, die Aufgabe des Bauhandwerks in diesem 21. Jahrhundert? Nun, ich denke wir müssen daran arbeiten, dass uns die Welt wieder zur Heimat wird. Denn allzu viel ist uns in den letzten 50ig Jahren, die ich persönlich erlebt habe, unheimlich geworden und uns allen glaube ich entglitten. Ganz sicher können wir die Zukunft nur bewältigen, wenn wir bereit sind, für mehr Verantwortung zu übernehmen als nur für die Zahlen, die am Ende unsere Bilanzen schmücken. Dies ist allerdings auch eine Aufforderung an die Politik , Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen jeder Mensch eine Chance hat, von seiner Hände Arbeit auch gut zu leben und unter denen die Unternehmer im Handwerk auch die Möglichkeit haben, ihrer sozialen Verantwortung gerecht zu werden.

Handwerk ist mehr als ein paar Zahlen in der Wirtschaftsstatistik. Es ist ein Teil wichtiger, ein unverzichtbarer Teil unserer Europäischen Kultur und Lebenswelt. Handwerk ist eine Art zu Denken und zu Handeln, ein Lebensentwurf und ein sozialer Organismus. In seiner Vielfalt ist Handwerk in Europa wahrlich ein ganzer Kontinent. Handwerk hat mit einer ganz besonderen Qualität zu tun, kann Menschen mit ihren Bedürfnissen persönlich und direkt gerecht werden, ist gute Arbeit im doppelten Sinne. Handwerk bewahrt das Wissen und Können von Jahrhunderten und ist das lebendige und nachhaltige Gedächtnis der Regionen. Wer ein Handwerk lernt, hat Glück - denn alle modernen Erkenntnisse der Neurobiologie und der Lernforschung zeigen: Nur wenn wir als ganzer Mensch mit all unseren Sinnen und Fähigkeiten gefordert sind und uns immer wieder mit neuen Aufgabenstellungen und Erfahrungen weiterentwickeln dürfen, werden wir unserer menschlichen Natur gerecht.

Doch zurück zum Bauen: Wer Zukunft baut, muss aus den Fehlern der Vergangenheit lernen und die großen Herausforderungen, die vor uns liegen, im Auge haben. Bauen muss in Zukunft vor allem wieder den Menschen dienen, muss Räume schaffen für ein gutes Leben. Wir brauchen Städte, die mehr sind als Spekulations- und Renditeobjekte. Bauen muss in Zukunft wieder mehr mit Qualität, Nachhaltigkeit und Kultur zu tun haben als mit Menge und Geschwindigkeit.
Das Gleichgewicht, in das wir kommen müssen, fängt bei jedem Einzelnen auch als ein inneres Gleichgewicht an. „Gleichgewicht" heißt „gleich wichtig". Gleich wichtig muss uns - neben der Ökonomie - auch in Zukunft wieder die Lebensqualität sein. Und bitte: ich meine dabei nicht nur die eigene! Gleich wichtig muss uns Bildung und Kultur sein und beides muss einen weit größeren Raum einnehmen. Und gleich wichtig muss uns neben dem technisch Machbaren vor allem wieder der Mensch sein, dem wir als Kunde begegnen und der uns als Mitarbeiter oder Kollege begegnet. Es kann nicht sein, dass wir beim Anblick eines Gebäudes nur den Architekten und Investor loben und es uns egal ist, unter welchen Bedingungen die Menschen arbeiten und leben, die es erbaut haben. Das genau ist diese Unkultur, der wir heute begegnen. Das sind Verhältnisse, die ganz sicher nicht dauerhaft zukunftsfähig sind.

Kultur entsteht im geistigen und im materiellen Bereich. Kultur hat mit Kommunikation, mit sozialen Prozessen, mit Denken und Wahrnehmen zu tun. Aber umgekehrt gilt auch: Das, was wir herstellen, unser Alltag, unser Handeln, was uns täglich umgibt und begegnet, ist Ausdruck dieser Kultur. Und der Mittler zwischen diesen Sphären ist der Kulturträger Mensch, sind wir. Mit unserer Kultur verhält es sich wie mit den Synapsen in unserem Gehirn: die Bereiche, die wir nicht nutzen, sie bilden sich zurück. Für den Reichtum einer Kultur, das sagte schon Lewis Mumford, ist nicht die Menge entscheidend, die hergestellt wird, und schon gar nicht die Menge der verschleuderten Ressourcen. Entscheidend ist der Anteil an echten und dauerhaften Werten, die hergestellt werden. Entscheidend ist - dies möchte ich ergänzen - die Summe des aktiven kulturellen Vermögens, das wir als Gesellschaft darstellen, und damit meine ich in Bezug auf das Bauhandwerk, die hohe und die ganzheitliche Qualität der Ausbildung und der Praxis, das Können und das Engagement seiner Menschen.

Sie als Handwerker und Unternehmer haben die Möglichkeit, dies in ihrem Handeln zu berücksichtigen. Wer als Baumeister handelt, behält diese Zusammenhänge im Auge und entwickelt mit anderen im Gespräch Lösungen, die der Komplexität unserer Welt gerecht werden.

Ich möchte an einen Vortrag erinnern, den John Ruskin, einer der einflussreichsten Kunsthistoriker und Architekturkenner des 19. Jahrhunderts, hielt. Er war von Kaufmännern gebeten worden, einen Vortrag darüber zu halten, was wirklich schön und geschmackvoll sei, denn sie hatten den Plan, für ihre Börse ein neues Gebäude zu errichten. John Ruskin war jedoch nicht willens, den Zweck, für den das Gebäude errichtet werden sollte, und die Denkweise der Bauherren zu unterstützen. Denn es war klar, dass der Bau keinem anderen Zweck dienen sollte, als aus viel Geld - auf Kosten der Armen - noch mehr Geld zu machen. Das Gute und das Schöne waren für Ruskin nicht von einander zu trennen. Während seine Zuhörer von ihm erwarteten, er möge ihnen jetzt mitteilen, mit welchen mythologischen antiken Bildern und Wandfliesen sie die Fassade des Gebäudes schmücken sollten, kam Ruskin ganz unbarmherzig zu dem Schluss, dass die Wände sinnvoller Weise mit Geldbörsen geschmückt werden sollten, da das Gebäude keinem darüber hinaus weisenden geistig-kulturellen Zweck diente. Sie können sich vorstellen, dass er danach nie wieder eingeladen wurde. Er hatte nämlich Recht. Und sie können auch sicher sein, dass mir in den letzten 50 Jahren kein einziger Redner begegnet ist, der den gleichen Mut aufgebracht hätte, auch wenn er exakt diese Gedanken in den Pausengesprächen oder hinter der Bühne vertrat. Über John Ruskin werden allerdings auch nach 150 Jahren noch Vorträge gehalten, Bücher geschrieben und Kongresse organisiert. Wer wird dies in Zukunft von sich behaupten können?

(Rede aus Anlaß "125 Jahre BauInnung Hamburg")

Bildnachweiß: Friedrichstadt/ Eider Markt (c) Louise Bindernagel

März 05, 2008

Interview mit Richard Sennett

KulturGut:In Ihrem Buch „Craftmanship” beschreiben sie Handwerk als zentralen Aspekt unserer Kultur. Was geschieht, wenn das Prinzip Handwerk verlorgen geht?

Richard Sennett:
Die Menschen verlieren ihre Selbstachtung und die Fähigkeit eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen.

KulturGut:Ist Handwerk einem ständigen Niedergang unterworfen, oder können wir Handwerk als etwas beschreiben, dass sich seit Jahrtausenden immer wieder neu erfunden hat?

Richard Sennett:
Das ist eine gute Frage. Unsere Vorstellung von Handwerk ist tatsächlich oft veraltet und zu romantisch. Wir verbinden mit dem Begriff „Handwerker“ oder „craftsman“ oft nur die Kunsthandwerker. Aber tatsächlich hat sich Handwerk immer wieder neu erfunden. Manchmal unterstützt durch Computer. Manchmal im Rahmen neuer technischer Produktionsverfahren. Selbst im Bereich der Dienstleistungen finden wir Handwerk. Krankenpflege zum Beispiel, ist meiner Meinung nach ein Handwerk. „Craftmanship“ bedeutet für mich das Prinzip des Erlernens und Übens von Fertigkeiten, persönliches Engagement und der Wunsch und die Fähigkeit Arbeit um ihrer Selbst willen, gut zu machen.

KulturGut:Nun gibt es - anders als in den USA - in Europa nicht nur das Prinzip Handwerk sondern auch Volkswirtschaften in denen der Sektor Handwerk eine bedeutende Rolle spielen. Wir finden in Deutschland und Österreich viele Handwerksunternehmen, die alle ihre Definition von „Craftmanship“ erfüllen.

Richard Sennett:
Ja. Aber Ich glaube nicht, dass wir Craftmanship nur mit diesen kleinen Unternehmen in Verbindung bringen sollten. Toyota zum Beispiel ist ein Weltkonzern. Aber die Arbeiter in der Fertigung wissen genau, was ihre Maschinen können und sie haben das Recht, das Fließband anzuhalten. Das Gleiche gilt für Nokia, das ich für ein nach handwerklich organisiertes Unternehmen halte. Craftmanship ist etwas, das wir nicht nur in kleinen Unternehmen finden. Ich habe mich in Japan mit Arbeitern von Toyota unterhalten. Sie stoppten das Fließband. Wir sprachen über ihre Arbeit. Anderseits haben Sie In einer Hinsicht Recht. Gutes Handwerk braucht oft die persönliche Kommunikation. Dennoch sollten wir nicht davon ausgehen, dass Handwerk nur für kleine Unternehmen wichtig ist und nur dort gelebt werden kann. Wir sollten in Sachen Handwerk auch von Toyota und Nokia lernen, von ihrer Art und Weise die Arbeit in ihren Fabriken organisieren.

KulturGut:Gibt es nicht einen natürlichen Gegensatz zwischen Handwerk und Industrie? Basiert das Prinzip „Industrie“ nicht auf Standardisierung und Kontrolle aller Prozesse? Neigen die industriellen Unternehmen nicht dazu, die ganze Wertschöpfungsketten bis hinunter zum Menschen kontrollieren und steuern zu wollen – einschließlich der Märkte und des Konsumverhaltens?

Richard Sennett:
Das glaube ich nicht. Ich sehe keinen Gegensatz zwischen Handwerk und Industrie. Es wäre durchaus möglich industrielle Arbeitsplätze so zu gestalten, dass auch die Industriearbeiter sich in ihrer Berufsbiographie stetig weiter entwickeln können. Haben sie den ersten Level an Kompetenzen erworben, dann könnten sie sich für die nächst höherer Stufe qualifizieren. Auf diese Weise ginge es immer weiter aufwärts. Für mich liegt der Schlüssel in der Planung und Gestaltung der Berufsbiographien. Ich denke, dass die Industrieunternehmen früher oder später Probleme bekommen, die ihre Produktion nicht im Gespräch mit ihren Mitarbeitern weiterentwickeln. Toyota ist in diesem Sinne ein sehr interessantes Unternehmen. Die Produktion nach dem Prinzip Craftmanship zu organisieren ist außerdem soviel effizienter als das alte fordistische System der Arbeitsteilung. Toyota hat viel höhere Produktivität als General Motors und Ford, weil die Mitarbeiter von Toyota motivierter sind. Und die sind motiviert, weil sie sich ständig weiterentwickeln können. Ich denke: Die größte Herausforderung besteht heute darin, mehr Industrieunternehmen dazu zu ermutigen den Weg von „Craftmanship“ zu gehen und von Toyotas handwerklicher Organisation von Arbeit zu lernen.

KulturGut:Hat der Japanische Weg nicht auch mit dem Prinzip „Zen“ zu tun. Mit der taoistischen Art und Weise zu denken und zu leben?

Richard Sennett:
Sicher. Ich verweise in meinem Buch in diesem Zusammenhang aber auch gerne auf die visionäre Arbeit von William Edwards Deming. In meinem Buch schreibe ich deshalb über das Prinzip des „Total Quality Managements“. TQM Systeme fördern einen kontinuierlichen Austausch und Lernprozess der Mitarbeiter darüber, wie die Arbeit oder die Produkte verbessert werden könnten. So werden die Probleme und ihre Lösung ihnen zu einer persönlichen Angelegenheit und sie stellen ihre Kreativität in den Dienst der Unternehmen.

KulturGut:Die Intellektuellen und die Wissenschaft fanden das Thema Handwerk bisher nicht sehr interessant und haben wenig darüber nachgedacht und gearbeitet. Warum?

Richard Sennett:
„Ja, das ist eine wunderbare Frage. Ich beschäftige mich mit diesem Aspekt in meinem Buch im Zusammenhang mit der Europäischen Entwicklung 17. Jahrhundert. Dazu ich erzähle ich Ihnen auch eine Geschichte. Ich unterrichte sowohl am MIT als auch am LSE. Meine Kollegen fragten mich letztlich, was ich eigentlich tue. Und ich habe gesagt: „ Ich schreibe ein Buch über Handwerk.“ Und dann habe zurückgefragt: Was denken Sie, macht Ihrer Ansicht nach ein gut funktionierende Entwicklungslabor aus? Einer von Ihnen – es war ein Nobelpreisträger – antwortete: ein gut arbeitendes Labor ist eines, in dem viele Hände bei der Arbeit sind und in dem der Meister und die Lehrlingen nicht nur in einem ständigen Austausch darüber sind, wie die Arbeit verbessert werden kann, sondern auch darüber, wie man aus Fehlern lernen kann. Fehler finden und dabei lernen, das ist gutes Handwerk und gute Wissenschaft. Meiner Meinung nach sind gute Wissenschaftler eigentlich Handwerker. Das Phänomen ist: Wir nennen sie nicht mehr so.

KulturGut:Würden sie es als eine Abwertung ansehen, wenn wir sie als Handwerker bezeichnen?

Richard Sennett:
Nein, ganz und gar nicht Sie würden es lieben.

KulturGut:
Da der Titel ihres Buches „Handwerk“ lautet, verrät uns die öffentliche auch viel darüber, wie das Prinzip Handwerk wahrgenommen wird. Gibt es kulturelle Unterschiede?

Richard Sennett:
Ich weiß nicht genug über Deutschland. Aber es gibt interessante Unterschiede zwischen England und den USA. In den USA wird „Craftmanship“ für ein unerreichbares Ideal gehalten. Die Menschen denken, dass Craftmanship mit dem Kapitalismus nicht vereinbar ist. Die Arbeitnehmer in den USA haben heute eine entmutigte, eine fatalistische Haltung. Sie glauben nicht mehr daran, dass die Arbeitgeber ein Interesse daran haben, sie zu fördern. Das gilt nicht für Großbritannien. Den Grund hierfür sehe ich in der Labour Party, für die seit ihrer Gründung vor 130 Jahren, Craftmanship für ein fundamental wichtiges Prinzipien ist. Das ist der Grund, warum in Großbritannien der Wunsch sehr verbreitet ist, eine gute Arbeit zu machen – ein Arbeit gut zu machen.

Die Amerikaner vermitteln oft ein falsches Bild von sich und ihrer Kultur. Sie präsentieren sich wettbewerbsorientiert und aggressiv. Ich habe mein Leben damit verbracht Amerikanische Arbeitnehmer zu interviewen und ich musste feststellen, dass sie zutiefst entmutigt sind. Sie glauben nicht mehr daran, dass sie die Möglichkeit haben werden das zu tun, was sie wirklich, wirklich tun wollen. Und sie sind voller Bedauern, dass sie sich nicht entfalten können. Und sie denken, dass die Gesellschaft sie dabei nicht unterstützt sondern eher behindert.

KulturGut:Es gab zu Beginn der Industriellen Revolution die Arts and Crafts Bewegung. John Ruskin war ihr wichtigster Vordenker und er hat das Thema Handwerk bereits sehr modern analysiert und gedacht.

Richard Sennett:
Das stimmt. Er ist eine sehr interessante Figur, weil er einen umfassenden wissenschaftlichen Blick auf Handwerk hatte. Die Arts and Craftsbewegung war ein wichtiges Experiment aber sie hat Fehler gemacht, aus denen wir lernen können. Leider war Ruskin von diesem furchtbaren Hass auf die Maschine beseelt. In diesem Punkt war er ein Mann seiner Zeit. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass die Maschine eines Tages zu einem Werkzeug des Menschen werden könnte. Deshalb führt er uns an dieser Stelle nicht weiter. Aber seine Betonung der Vielfalt und des experimentellen Arbeitens ist sehr bemerkenswert und wichtig. In diesem Sinne ist er in höchstem Maße modern.

KulturGut:Zumal Ruskin die Verantwortung des Konsumenten als erster mitgedacht hat. In gewisser Weise hat Ruskin einen nachhaltigen Lebensstil gefordert.

Richard Sennett:
Das gilt auch für William Morris, sein Mitstreiter. Er möchte, dass der Konsument stärker aus der Perspektive des Produzenten denkt. Der Konsument solle, wenn er etwas kauft, darüber nachdenken, was es ist und wie es gemacht wurde. Sie haben vollkommen Recht. In diesem Sinne sind beide sehr modern.

KulturGut:
Sie sprechen in Ihrem Buch darüber, dass wir in Bezug auf unsere Fertigkeiten auf den Schultern von Riesen stehen. Sie betonen wie wichtig es ist, dass Craftmanship nicht etwas ist, das nur die Eliten angeht.

Richard Sennett:
Mir ist sehr wichtig mit meinem Buch darauf hinzuweisen, dass die Eliten in den USA und Europa dazu neigen, auf alle Menschen herunterzusehen, die ganz normale Jobs machen. Aber das ist ganz Falsch. Denn selbst vermeintlich einfache Tätigkeiten und Berufe, erlauben es uns täglich neue Erfahrungen zu machen und dabei täglich etwas dazuzulernen. Tatsächlich hat Europa, ich denke an das Bildungswesen, den Glauben an die Fähigkeiten und Fertigkeiten die in jedem Menschen stecken verloren. Das ist ein wirkliches Problem. Es hat auch etwas mit Klassenbewusstsein zu tun. Es ist eine Form von Snobismus.

KulturGut:Liegt es nicht auch daran, dass wir nichts mehr von einander wissen? Wir haben keine Ahnung mehr, wie viel Fähigkeiten und Fertigkeiten viele Berufe erfordern? Das Erlernen eines Handwerks bis zur Meisterschaft erfordert gut sieben Jahre. Es ist nicht weniger zeitaufwendig als Musiker zu werden.

Richard Sennett:
Das ist völlig richtig. Aber vielleicht wollen wir es auch gar nicht wissen? Denn wenn uns bewusst ist, wie viel Wissen und Können selbst ganz normale Jobs erfordern, dann könnte es zur Folge haben, dass man Menschen besser bezahlen und mit mehr Respekt behandeln muss.

KulturGut
„Am Ende ihres Buches, in den Schlussfolgerung steht, dass „Handwerk Sozialismus braucht“ . Können Sie uns das erklären?“

Richard Sennett:
„Nun. Wir neigen dazu besondere Fertigkeiten dem Individuum als sein persönliches Verdienst zuzuschreiben. Die Meinung, dass wir diese Fertigkeiten ganz alleine oder sogar im Wettbewerb mit anderen Menschen entwickeln können, ist weit verbreitet. Dahinter steht eine diffuse Idee von Begabung. Etwas das auch irgendwie mit der Biologie zu tun hat. Das ist ein sehr verhängnisvoller Irrtum. Keiner der nichtmarxistischen Frühsozialisten, wie Charles Fourrier, Henri de Saint-Simon oder Robert Owen hatte verstanden, dass wir nur durch Kooperation und Interaktion mit anderen Menschen unsere Fähigkeiten weiterentwickeln können. Menschen, die immer nur in ihrer eigenen kleinen Arbeitsumgebung bleiben, können ihre Fähigkeiten nicht gut weiter entwickeln. Das meine ich, wenn ich in diesem Kontext von Sozialismus spreche. Wissen Sie, ich bin kein Marxist und war niemals einer. Wohl aber ein Sozialist.

Ich möchte mit meinem Buch den Zusammenhang zwischen Kooperation und der Weiterentwicklung unserer Fähigkeiten aufzeigen. Wissen Sie, wir glauben manchmal, das soziale Leben würde nur dazu beitragen, dass wir uns irgendwie besser fühlen. Aber es sorgt darüber hinaus dafür, dass Menschen besser Denken können. Auch wenn Sie das verstehen, ist diese Sichtweise nicht sehr weit verbreitet. Das ist es, was ich mit diesem Satz sagen wollte.

KulturGut:Vielen Dank Herr Sennett für das spannende Gespräch. Wir wünschen ihnen sehr viel Erfolg mit Ihrem neuen Buch.

Januar 27, 2008

Die Könnensgesellschaft


Ein Essay über die Zukunft der Künste

Der Tag, an dem sich die Kunst vom Können emanzipiert hat, war ein schwarzer Tag in der Geschichte der Menschheit und unserer Kultur. Es war die logische Konsequenz des Übergangs zur Industriegesellschaft und es führte dazu, dass das Können, als wichtigstes individuelles und kulturelles Vermögen, in einem unvorstellbaren Umfang abgewertet wurde und heute immer noch wird.
Ein gesellschaftliches Gemälde, in dem sich die anmaßende „wahre Kunst“ als „Ware Kunst“ von den dahinter stehenden Verhältnissen nicht befreien kann und will. Das Geschah im Interesse der Wirtschaft, die auf dem Konsumismus basiert, der inzwischen aber dabei ist, seine eigenen Grundlagen zu zerstören: seine natürlichen und seine kulturellen Voraussetzungen.
War früher das Können für diesen Stoffwechsel mit der Natur konstitutiv und hatten alle Menschen ihren Anteil an diesem Können und waren aktiver Teil von alltäglicher Kulturproduktion, so hat im 19. Jahrhundert die Industrie mit dem Kunstkönnen und der damit verbundenen kulturellen Vielfalt Tabula Rasa gemacht.

Die Welt dahinter: die Welt der Produzenten, die Welt der lebendigen Arbeit erfuhr einen ökonomischen und kulturellen Abwertungsprozess ohne gleichen.
Europa spielte bisher eine einzigartige Rolle in der Welt: wegen seiner großen kulturellen Vergangenheit und der unvorstellbaren Vielfalt auf engstem Raum.
Das 20. Jahrhundert hat dann aus Menschen Konsumenten gemacht. Dies war wiederum mit einem deutlichen Verlust an Alltagskompetenzen, Alltagswissen und Können verbunden. Unter den Bedingungen der Globalisierung droht dem Können und dem Restbestand an aktivem, eigenständigem kulturellen Vermögen nun endgültig das Aus. Wissen ist alles, Können ist nichts. Das Bildungsziel an den öffentlichen Schulen ist konsequenter Weise auch nicht mehr die Fähigkeit zu einem selbstbestimmten Leben, sondern „Employability“ die Fähigkeit als Arbeitskraft nachgefragt zu werden.

Doch das war und kann nicht Europas Weg in die Zukunft sein. Wenn unsere Bildungssysteme, Politik und Gesellschaft weiterhin das Ziel verfolgt, dass die Masse der Menschen in Europa in Zukunft nichts mehr können sollen, außer Fernsehen – dann ist diese Kultur und ihre Wirtschaft schon deshalb bald am Ende, weil uns Grenzen gesetzt sind, die wir nicht länger ignorieren können.
Wenn wir unseren Wohlstand in Zukunft mit einem Bruchteil an Ressourcenverbrauch erzeugen müssen und dennoch, entsprechend unserer europäischen Kultur, allen Menschen nicht nur eine passive Teilhabe – als Konsumenten – sondern eine aktive Teilhabe als Produzenten und gesellschaftliche Wesen zugestehen wollen, dann kann dies nur gelingen, wenn wir eine Könnensgesellschaft werden. Eine Gesellschaft die verstanden hat, dass die Grenzen des Wachstums, die uns gesetzt wurden, nur quantitative Grenzen sind aber niemals keine Könnensgrenzen. Wir müssen eine Gesellschaft von Könnern werden, die in einen Wettstreit darum eintritt, wer innerhalb der uns gesetzten Grenzen am besten aus wenig viel macht.
Eine Gesellschaft des Respekts vor dem Können und dem menschlichen und kulturellen Potenzial eines Jeden. Eine Gesellschaft in der wir bereit sind unser Können gegenseitig zu respektieren, und für die Vielfalt der Künste und des Könnens einen fairen Preis zahlen. Eine Wirtschafts –und Lebensweise, die dem Schutz und der Entfaltung des Lebens dient und dem sich entfaltenden Können jedermanns Respekt zollt. Eine Gesellschaft, die nicht auf Abwertung sondern auf Wertschätzung und Aufwertung des menschlichen Können beruht.

Denn Könnerschaft zu entfalten ist ein menschliches Vermögen, das Quelle eines dauerhaften Glücks ist. Könnerschaft, verbunden mit der Fähigkeit einen echten und einen sinnvollen Nutzen für sich und andere zu erzeugen, ist eine Quelle dauerhaften, individuellem und kollektivem Wohlstandes. Das Prinzip Können schließt niemanden aus, der zwei Hände hat, einen Kopf zum Lernen, ein Herz und Talent. Denn Können ist anders als Wissen etwas, dass auf Übung und Erfahrung beruht, das wir ein Leben lang und bis ins hohe Alter entfalten, perfektionieren und weitergeben können, das uns selber und uns gegenseitig kostbar macht.

In den gesättigten Märkten hat die Massenproduktion es schwer. Aber auch die Steigerung der Variantenvielfalt in der Massenproduktion führt letztlich zu einem Überdruss am immer mehr vom immer gleichen.
Sollte es gelingen, dass der in unserer Konsumentengesellschaft entbrannte Wettbewerb um Kennerschaft in einem gelebten vor Könnerschaft mündet, dann bestehen Chancen, dass der Übergang in eine „dematerialisierte Wissensgesellschaft“ geling, ohne das wir mit einen großen Teil der Gesellschaft als „entqualifizierte Jobholder“ und „Diener einer neofeudalen Gesellschaft“ abhängen. Daran würde nicht nur unsere Kultur, daran würde jeder Schaden nehmen: der Diener und der Herr.
Text - Copyright: M.A. Christine Ax
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