November 07, 2008

Von Peak Oil zu Peak Aldi: Plädoyer für eine Ökonomie der Nähe

Von Peak Oil zu Peak Aldi: Plädoyer für eine Ökonomie der Nähe

„Arbeit und Liebe“, antwortete Sigmund Freud auf die Frage, was den Menschen wirklich glücklich macht. Glück – das wusste schon Aristotelesist das einzige Gut, das der Mensch um seiner selbst willen anstrebt. Alle anderen Güter sind meist deshalb erstrebenswert, weil wir glauben, dass sie uns glücklich machen. Es liegt allerdings in der Natur des Glücks, dass es sich immer nur im hier und jetzt ereignen kann.
Seitdem sich Europa aufmachte die Welt zu entdecken, lautete der Schlachtruf der Moderne allerdings „plus ultra“: „immer weiter, immer größer, immer schneller“. Das Glück gab es nur um den Preis einer Anstrengung deren Lohn immer in der Zukunft liegen würde. Auf die kühnen Entdecker, Erfinder und Denker der Neuzeit, die den Menschen Freiheit, Gleichheit und Fortschritt bringen wollten, folgte der Siegeszug einer gigantischen, globalen Megamaschine, von der keiner mit Gewissheit sagen kann, wie man sie in eine zukunftssichere Richtung lenkt. Vor allem die Geschwindigkeit mit der die Zerstörung von natürlichem und kulturellem Erbe voranschreitet macht zu Recht Angst. Die Komplexität mit der wir es in Sachen Weltgesellschaft, Weltwirtschaft und Weltfinanzmärkten zu tun haben, lassen selbst die mutigsten globalen Lenker und Denker an der globalen Steuerbarkeit dieser Prozesse verlieren. Doch weniger wir an dieser Utopie festhalten können, desto bedeutender wird die Region und alles, was wir selber noch wirklich in der Hand haben.
Neil Postman vergleicht uns mit einem Autofahrer, der auf einer Schnellstrasse mit hoher Geschwindigkeit in ein unbekanntes Land fährt. Im Kopf eine Landkarte, die die Zukunftsforscher uns gemalt haben. Doch alle unsere Prognosen über die Zukunft beruhen auf Erfahrungen, die wir in der Vergangenheit gemacht haben. Die rasende Fahrt nimmt unsere ganze Aufmerksamkeit in Anspruch. Es bleibt kaum Zeit darüber nachzudenken, warum wir das, was wir tun, tun, wofür und für wen es wirklich gut ist. Wir sind so mit Beherrschung der Technik und dem ewigen „Changemanagement“ beschäftigt, dass wir keine Zeit haben aus der Vergangenheit zu lernen. Kaum etwas sagt mehr über die Werte einer Kultur aus, als das, was ihr bewahrenswert erscheint. Es müssen ja nicht immer Dinge sein.

Die Bäume wachsen nicht in den Himmel, sagt der Volksmund. Das stimmt und ist gut so. Und täten sie es, könnten wir das wunderbare Rauschen des Windes in ihren Blättern nicht hören. Wäre das nicht wirklich schade?

Es gibt in der Natur kein Mengenwachstum und kein Größenwachstum das unendlich ist. Die Natur ist – das stimmt – ungeheuer reich und verschwenderisch und wir haben noch lange nicht die großartigen Möglichkeiten ausgeschöpft die darin liegen, in eine echte co-produktive Partnerschaft mit ihr einzutreten. Nichts spricht gegen Vertrauen in eine gute Technik und die Arbeit an innovativen Lösungen. Solange damit nicht die ständige Entwertung all dessen einhergeht was schon ist und der starre Blick durch die Frontscheibe uns nicht daran hindert, zu tun, was jetzt getan werden muss. Wie sagen wir in der Nachhaltigkeits-Community so schön: der Weg entsteht beim Gehen. Aber jeder Schritt muss in die richtige Richtung gehen.

Grenzen unsere Art von Umgang mit der Natur betreffend, gibt es nicht nur in Bezug auf die Verfügbarkeit von Öl. Da wir heute schon so viel wichtiges und richtiges über das Thema Energie gehört haben, möchte ich Ihre Aufmerksamkeit auf andere Engpässe lenken, die nicht minder wichtig sind. Nachhaltige Entwicklung, erfordert ganzheitliches Denken. Nachhaltigkeit wird nicht umsonst in drei Kategorien gedacht und dekliniert: ökologisch, sozial und ökonomisch. Neben dem Wohnen gibt es viele weitere Bedürfnisfelder, mit denen nicht nur zu viel Energieverbrauch verbunden ist, sondern auch die Erschöpfung weiterer wichtiger Ressourcen. Nicht nur die Technik beeinflusst diese Entwicklung auch soziale Prozesse. Für die Energiebilanz des Bedürfnisfeldes Wohnen ist die Siedlungs- und die Haushaltsstruktur in der wir leben von großer Bedeutung. So hat der dramatisch hohe Anteil an Single - haushalten negative Folgen auf den Energieverbrauch. Er bedeutet, dass in jedem dieser Haushalte eine Waschmaschine steht, ein Fernseher, ein Trockner, ein Computer der von nur einer Person genutzt wird.

Und die Kehrseite dieser extremen Individualisierung ist eine wachsende Einsamkeit, zumal in den Städten, die immer mehr Menschen krank macht. Ganz zu schweigen von den sozialen und ökonomischen Problemen, die sich aus dem Altern der Industriegesellschaft in Zukunft ergeben.

Was mir auch zu kurz kam, ist die Erkenntnis, dass wir immer dann, wenn wir enthusiastisch über technischen Fortschritt sprechen – z.b. über eine neue Generation energiesparender Geräte – berücksichtigen müssen, dass die technische Lebensdauer von Produkten, z.b. von Elektrogeräten oder Autos und ihre Teile fast nie ausgenutzt werden. Waschmaschinen, die fünfzehn Jahre laufen könnten und auch sollten, werden oft nach vier Jahren entsorgt, weil eine Reparatur im Verhältnis zum Neukauf teuer erscheint. Diese Welt ist nicht nur zu klein um jedem Weltbürger ein Auto zu geben. Sie ist auch zu klein, um alle drei Jahre eine funktionierende Produktgeneration durch eine Neue zu ersetzen, die sich nur durch irgendein dummes Zusatzfeature oder neues Design auszeichnet. Ich halte diese Aussage solange aufrecht, wie in keiner Weise absehbar ist, dass auch Strategien der Ressourceneffizienz und einer wirklich nachhaltigen industriellen Kreislaufwirtschaft auf der Agenda stehen. Oder denken wir kurz an das Thema Ernährung. Die Industrialisierung der Landwirtschaft hat nicht nur die ländlichen Räume leergefegt und in ihrer Funktionsfähigkeit an ihre Grenzen gebracht. Damit wir Fleisch oder Fisch essen können, müssen anderswo Kinder hungern oder Urwälder gerodet werden. Die Meere sind zunehmend leergefischt. Immer mehr Tier- und Pflanzenarten sterben aus oder sind gefährdet. Auch wenn es um Unsere Produkte geht und um das, was sie mit uns im Alltag machen, können wir nicht glücklich sein. Wer hat sich jemals vorstellen können, dass die Welt sich in zwei Gruppen von Menschen teilen würden: die einen, die nur noch darüber nachdenken, wie sie abnehmen können und die anderen die nicht mehr wissen, wie sie sich und ihre Kinder ernähren würden. Schlimm ist, dass die sozialen Unterschiede zwischen diesen beiden Bevölkerungsgruppen weltweit in den letzten Jahrzehnten gewachsen sind.

Doch kommen wir noch einmal auf das eingangs angesprochene Glück zu sprechen. Wirtschaftswachstum, dies war zumindest noch in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts Konsens, sollte dem Glück der Menschen dienen. Der Tayloristische Gesellschaftsvertrag, der nach dem zweiten Weltkrieg zwischen den Gewerkschaften und der Wirtschaft geschlossen wurde besagte: Die Arbeitnehmer, vertreten durch Gewerkschaften, akzeptieren eine Arbeitswelt, die immer anstrengender, sinnentleerter und produktiver wird. Dafür erhalten sie im Gegenzug steigende Gehälter, immer mehr Konsum und Freizeit. Dieser Gesellschaftsvertrag hat in der heutigen globalisierten Wirtschaft keine ökonomische und soziale Grundlage mehr. Wir sind produktiver denn je und haben mehr Arbeitslose denn je. Europas Arbeitswelten erleiden das gleiche Schicksal wie in den USA oder in Japan. Aus Arbeitnehmern mit Perspektive werden Jobholder, die sich selber ein Leben lang immer wieder neu vermarkten müssen. Die Zahl der Billiglohnjobs ist bei uns dramatisch gestiegen. Und immer mehr Menschen brauchen zwei Jobs um ihre Familien ernähren zu können. Hochverdichtete Arbeitswelten führen zu Arbeitsplätzen an denen Menschen acht Stunden am Tag am Computer-Bildschirm Kästchen anklicken, Formulare bearbeiten, Standard-Prozesse Managen, im Call-center telefonieren oder an der Supermarktkasse schuften. Daimler - Benz, so war gerade zu lesen, ist zur Fließbandarbeit alten Musters und zum Zwei-Minuten-Takt zurückgekehrt. Die Supermärkte an der Peripherie der kleinen Städte und im ländlichen Raum machen sich gegenseitig Konkurrenz. Dafür stehen die kleinen Läden in den Innenstädten in Deutschland leer. Geiz war in den letzten Jahrzehnten so geil, dass uns überall kleine Unternehmen, Fachgeschäften, lokale Infrastruktur, Vielfalt und Lebensqualität weggebrochen ist.

Als jemand der es gewohnt ist, alles was mit dem Thema oder dem Begriff Handwerk zu tun hat, sehr aufmerksam wahrzunehmen kann ich nur sagen: nichts sagt mehr über den Verlust an Vielfalt und Qualität aus, als die verlogene Art und Weise, wie für Industrieprodukte geworben wird. In der Fernsehwerbung werden Pizza und Käse immer von der Sennerin oder der italienischen Mama von Hand hergestellt. Selbst Mercedes Benz verkauft seine am Fließband erzeugten Autos, indem es Geschichten über das Schneider- und Uhrmacherhandwerk erzählt. Die Wahrheit hinter den Produkten möchte kein Mensch sehen. Mit gutem Grund. Die Pseudovielfalt an Käse und Aufschnitt in den Regalen der Supermärkte erweist sich als verlogener Schein. Schmeckt das, was wir uns nachher aufs Brot legen doch fast immer gleich. Dazu leistet auch die Obstqualitätsnormenverordnung ihren Beitrag. Sie sorgt dafür, dass nur Normobst und Normgemüse in den Einkaufskorb kommt. Ganz egal ob es frisch ist und wie es schmeckt.

Diese Wertschätzung der besonderen Qualität handwerklicher Produkte und Dienstleistungen ist – wenn es denn mehr als Propaganda ist – und wirklich gelebt wird, ist allerdings etwas, das für mich viel mit Zukunftssicherheit und Nachhaltigkeit unserer Kultur zu tun hat.

Zumal das, was die Schulbücher uns so immer noch glauben machen wollen, dass nämlich die Industrie das Handwerk überflüssig gemacht habe, ist nicht wahr. Wir haben in Deutschland oder Österreich noch immer in nahezu allen Branchen eine große Zahl von Handwerksunternehmen, die mit oder ohne Hightech vor Ort produzieren. Und wir finden auf dem Lande eine stetig wachsende Zahl von Direktvermarktern und kleinen aber feinen Manufakturen. Handwerk, das sind Unternehmen in denen jungen Menschen eine Ausbildung erhalten, die darauf angelegt ist, ein Produkt über seinen ganzen Lebenszyklus hinweg, von der Planung über die Produktion bis zum Verkauf und der Wartung vollständig selber in der Hand zu haben und zu managen. Mit der Chance sich früher oder später selbständig machen zu können: als Handwerker, Künstler oder Unternehmer. Der Aufstieg der Kreativen Klasse, den der Amerikaner Richard Florida so euphorisch begrüßt, ist in diesem Sektor keine Nachricht wert. Denn die Kreativen, sie sind und waren hier schon immer zu Hause.

Handwerk ist noch immer das Rückgrat der lokalen und regionalen Ökonomie und der Wirtschaftsbereich mit dem wir eine Ökonomie der Nähe realisieren können. Handwerk ist auch eine Arbeitswelt, in der der Mensch die Möglichkeit hat, seine Arbeit um ihrer Selbst willen und weitgehend selbstbestimmt gut zu machen.

Dass die Zukunft in einem neuen Typus von dezentraler Entwicklung liegt, und die hiermit verbundenen Chancen nicht hoch genug eingeschätzt werden können, dies ist meine Überzeugung. Und ist weniger Utopie als die erfolgreich gelebte Wirklichkeit zahlloser Handwerker und anderer KMU in Deutschland und Europa. Dezentrale Energie- und Wasserversorgung, schafft und sichert Arbeit für das Bauhandwerk aber auch für Handwerksbetriebe die im Elektro-, Sanitär- oder Metallhandwerk tätig sind. Der ländliche Raum wird der Gewinner von morgen sein, wenn wir – wie dies an immer mehr Orten heute geschieht - die Rohstoffe nicht nur der Industrie zuliefern sondern wieder dazu übergehen sie vor Ort nach alten und neuen Rezepten zu veredeln. Die Biobewegung in Deutschland hat es vorgemacht. Höfe auf denen in der konventionellen Landwirtschaft nur ein Landarbeiter sein Auskommen findet, beschäftigen geben zehn bis zwanzig und noch mehr Menschen eine gute, eine sinnvolle Arbeit und Zukunft. Wir haben in Schleswig-Holstein heute über 30 neue, junge Käsereien die jeden Supermarkt nicht nur an Qualität sondern auch in Sachen Vielfalt übertreffen.

Eine nachhaltige Kultur und nachhaltige Lebensstile muss sich nicht nur darüber Gedanken machen, wie viel Energie die Herstellung eines Produktes verbraucht, sondern auch was die Arbeit mit den Menschen macht, die sie ausüben und was das Produkt mit uns macht, wenn wir ihnen in unserem Leben einen Platz geben. Und es kann nicht sein, dass wir uns immer nur darum sorgen, dass der Kaffee fair erzeugt wird. Dies sollte auch für das Brötchen gelten, das beim Bäcker gebacken wird.

Es war John Ruskin der wichtigste Theoretiker der Arts and Crafts Bewegung, der schon Mitte des 19. Jh. die wichtigsten Forderungen aufgestellt hat, die auch heute unsere Leitschnur sein könnten und die für eine neue Kultur der Arbeit und eine neue Kultur des Konsums stehen:

  • Unterstütze nicht die Herstellung von Artikeln, die der Erfindungsgabe keinen Raum lassen.
  • Verlange nicht Perfektion als Selbstwert, sondern nur, wenn sie einem praktischen Ziel dient.
  • Unterstütze keine Produktion, die nur imitiert, es sei denn sie dient der Reproduktion großer Kunstwerke.
  • Kaufe nur Produkte originaler Arbeit
  • Kaufe nur haltbare Produkte, also Produkte die altern können.
Nachhaltigkeit erfordert nicht nur die passenden Antworten auf Peak Oil. Eine der wichtigen Konsequenzen, die sich für die Zukunft ergeben ist auch ein kultureller Wandel in der Konsum- und Arbeitswelt, der einen Peak Aldi voraussetzt.
(c) Gemäss § 5 Abs.3 MarkenG wird Titelschutz in Anspruch genommen für: Ökönomie der Nähe / Peak Aldi ; M.A. Ax; Bruno-Lauenroth-Weg 4, Hamburg

Hausmarke: Karin Hertz / Hamburg

Foto: Catarina Grzybowski / Aachen