Dezember 09, 2010

Handwerkskultur

In meiner Zeit als Präsident der Handwerkskammer Hamburg lag mir das Thema Kultur besonders am Herzen. Ich habe meine Zeit im Präsidium des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks und im Zentralverband des Deutschen Baugewerbes genutzt, um den Aspekt der Handwerkskultur ins Bewusstsein zu heben und die geistigen Räume auszuloten, die mit dem Prinzip Handwerk verbunden sind.

Kultur ist nach meiner Überzeugung nicht allein der Genuss oder der Erhalt von Kulturgütern, sondern vor allem unser lebendiges Vermögen. Kultur ist, was wir als Bürger, Arbeitnehmer, Unternehmer oder Politiker täglich leben. Wer glaubt, wir können Kultur in Museen aufbewahren, läuft Gefahr, an Substanz zu verlieren.

Die Kultur der Selbständigkeit und der Meisterschaft, die mir im Handwerk begegnet ist, erscheint mir in diesem Sinne ein kostbares Gut zu sein, zumal das Handwerk sie auf eine bemerkenswert demokratische Art und Weise verkörpert.

Handwerk ist so gesehen, im besten Sinne des Wortes, Mitte der Gesellschaft, ohne mittelmäßig zu sein. Zu meinem Verständnis von Kultur im Handwerk gehört, Verantwortung für unsere Meister, Gesellen und Lehrlinge zu übernehmen und für künftige Generationen – auch wenn die damit verbundenen Verpflichtungen unbequem sind.

Unter den vielen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, denen ich begegnen durfte, haben mich die Männer und Frauen am meistem beeindruckt, die zu ihren Überzeugungen über den Tag hinaus standen. So, wie es sich für einen Hamburger gehört.

Ihr Dieter Horchler

April 09, 2010

Bill Brook

Hamburgs größtes Industriegebiet! Die erste Suche nach Billbrook verlief frustrierend. Kein Schild informiert den Besucher über die Grenzen des Stadtteils. Der Übergang vom Hamburger Centrum nach Hammerbrook, Rothenburgsort oder auf die Veddel, ist auch für Anlieger nahezu unsichtbar und dennoch rechtlich vorhanden.

Den Straßenatlas auf dem Nebensitz, fuhr ich endlos, malerisch an der Bille gelegen, an Kleingärten vorbei, durch Backsteinwüsten, Schrotthalden, Abfallberge, über alte Brücken, ruckelte ich über Schienen der 1907 erbauten Südstormarnschen Kreisbahn, auf breiten Straßen an Hallen, Zäunen und Containern vorbei und hatte es nicht bemerkt: Das Ziel hatte ich längst erreicht und unbemerkt durchschritten. Bill-brook.

Hamburg ist eine Stadt mit vielen Gesichtern. Jeder kennt die Alster, die Reeperbahn und St. Pauli. Manche kennen das feine Harvestehude, Uhlenhorst oder die Schanze. Aber wer kennt Billbrook? Wenn Mann oder Frau hier nicht arbeiten, gibt es faktisch keinen Grund diesen Stadtteil zu besuchen. Man kann mühelos in Hamburg geboren werden, sein Leben hier verbringen und sterben, ohne auch nur einmal von Billbrook gehört oder es besucht zu haben. Nicht einmal beim Sprung über die Elbe ist die Wahrscheinlichkeit groß hier zu landen.

Bill-brook muss man erwandern. Wer sich Zeit nimmt die endlosen Industriestraßen entlang zu schlendern, sich auf weitläufigen Gewerbeflächen zu verlieren und mit den dort lebenden und arbeitenden Menschen zu sprechen, wird den besonderen Charakter dieses Dorfes verstehen. Denn jenseits austauschbar gewordener, todsanierter Altbauten und fern der modischen Auswüchse moderner Architektur, deren Ortlosigkeit uns bis zur Erschöpfung langweilt, eröffnet uns dieser sperrige Stadtteil einen Blick hinter die Hochglanzbilder einer virtuellen Welt, deren Autoren die nicht weit entfernten luxussanierten Kontorhäuser bewohnen. Die uns Tag um Tag weismachen wollen, ihre manipulierten Bilder seien die Welt.

Und doch hat dieser Stadtteil etwas Liebenswertes und Besonderes. Billbrooks Charme erschließt sich dem Betrachter nicht vom Auto aus. Billbrook, das ist die Bronx von Hamburg. Hier stehen Weltfirmen und Hichtech-Schmieden neben Handwerksbetrieben, die uns vor lauter Nostalgie die Tränen in die Augen treiben. Hier leben Ausgestoßene und Erfolgreiche, Tür an Tür. Hier begegnen sich Blankeneser und Angestellte, Mitarbeiterinnen vom Straßenstrich bei Italiener Don A. am Tresen. Im Sommer ist der Asphalt hier so heiß wie in Atlanta und dampft und glitzert dass uns das Auge brennt.

Hier treffen wir Goldgräber aus Europas östlichsten Gefilden, denen geschäftstüchtige Afrikaner Othmarschener Sperrmüll verkaufen, der dann in stinkenden, altersschwachen Lkw der nächsten Nachnutzungsstufe zugeführt werden und im Konsumnirwana ferner Welten verdampfen. Und es gibt die echten Goldgräber, die sich im Herzen Billbrooks nostalgische Denkmäler setzen, weil sie fest an die Zukunft glauben.

Abfallberge und Kunstsinn gehen hier Hand in Hand. Wo gehobelt wird, da fallen Späne. Wer nicht weiß, was Nutzungskaskaden bedeuten oder Kreislaufwirtschaft, dem sei ein Spaziergang durch Billbrook gegönnt. Keine Wertschöpfungsstufe, die hier nicht ihren Platz hat. Rohstoffe werden angeliefert, Chemische Produkte hergestellt, Stahl und Metall bearbeitet, Baustoffe, Energieträger und Kohle befördert, Energie erzeugt, Nahrungsmittel und Elektroschrott gelagert und weiterverarbeitet. Dazwischen stehen Kleingärten, Behelfsheim und Container als Wohnraum für Gestrauchelte.

Was einst der Schlund von Paris war, das sind heute die endlosen Lagerhallen Billbrooks. Hier lagern Lebensmittel für Hamburg und die Region. Hier wird die nicht enden wollende Elektronikschwemme zwischengelagert und umgepackt, um drei Jahre später wieder - ob legal oder illegal – darüber mag man spekulieren auf dem Nachbargrundstück weiterverwendet zu werden.

Unternehmer haben Billbrook groß gemacht und Unternehmer werden auch in Zukunft diesen Stadtteil prägen. Große Namen wie J.J. Darboven, Still und Vattenfall, Hidden Champions wie B&Q Dachbau, Fresh Factory oder Mike´s Sandwich, Speditionen und Logistiker, Dienstleister für die Eventbranche. Der Hamburger Kaufmann ist hier in Billbrook nicht ganz so fein, wie der in Blankenese. Muss er auch nicht. Dafür ist er aber auch nicht ganz so unnahbar und hat Gemeinschaftssinn.


Literatur: Staats- und Universität Bibliothek Hamburg; Wolfgang Borchert, Das Gesamtwerk - Die Hundblume 1947; Bill Brook BOR:Aa3: 1-11, unvollständiges handschriftliches Fragment


pic: (c) Billbrookkreis e.V.

Februar 03, 2010

Deutsches Malermuseum blüht im Verborgenen...

... durch Eintracht und Bürgersinn

Schon auf den ersten Blick sticht das Gebäude aus dem Umfeld heraus. Solch ein Kleinod kann man lange suchen. Und in diesem Stadtteil sowieso. Einfach zu finden ist es nicht: Man muss die ewig langen Straßen Billbrooks bis ans Ende fahren, an endlos langen Grundstücken mit Fabriken, Lagern und Hallen vorbei. Dann biegt man einmal um die Ecke und ist Mitten auf dem Lande. Hinter den Fabriken stehen Bauernhöfe, Gründerstilvillen, 20er Jahre Backsteinhäuser.

Es gibt Milch und Fleisch vom Direktvermarkter, den Tischler, Wiesen und das stille Wasser der Bille, der Billbrook seinen Namen verdankt. Wer hier spazieren geht, bleibt auf dieser Höhe unwillkürlich stehen. Ein kleiner Barockgarten und ein besonders schöner Holzständerbau laden zum Innehalten ein. Das 400 Jahre alte Gebäude erfreut die Wanderer mit einem hübschen Glockenturm und einer sehr gepflegten Fassade. Dass dies das „Deutsche Maler- und Lackierermuseum“ ist, muss man sofort glauben.

Zweimal die Woche öffnet sich die schön gemalte Tür den Besuchern. Samstag und Sonntag Vormittags zwischen zehn Uhr und Eins. Das kleine Haus berichtet seit 25 Jahren von zwei großen Geschichten: Von der Geschichte des Malerhandwerks, das über Jahrhunderte unsere Kultur mitgestaltet hat. Und vom Mut der Hamburger Maler-Innung, die im Jahre 606 ihres Bestehens ein Museum gründete, das uns daran erinnert, was uns an Schönheit und Kultur verloren ging.

Das Haus ist jeden Zentimeter Kulturgeschichte: Die Wände und Decken sind kunstvoll bemalt und mit Stuckaturen verziert. Im Obergeschoss zeugen barocke Deckengemälde vom Schönheitssinn einstiger Bewohner. In den Vitrinen finden die Besucher Gemaltes quer durch acht Jahrhunderte. Hier kann man sehen, was Schildermaler, Bildermaler, Buchmaler, Kirchenmaler und Kunstmaler in der Vergangenheit alles konnten. Es wurden Wände, Bilder, Glas, Möbel, Holz und Leinwand beschrieben, bemalt, vergoldet und dekoriert. Immer neue Werkzeuge, Materialien und Maltechniken wurden entwickelt. Und Meisterstücke beweisen: Kunst kam einst von Können. Vor dem Auge des Betrachters entsteht die Welt verloren gegangener Künste und vor allem die liebevoll gemalten Details erinnern die Besucher daran, was Menschen früher noch der Mühe wert war.

Solch kulturhistorisches Kleinod verdankt Hamburg dem unermüdlichen Eifer des ehemaligen Obermeisters der Malerinnung Joachim Germann, nach dem ein kleiner Platz vor dem Museum benannt wurde. Heute wird das Museum vom "Verein zur Förderung des Deutschen Maler- und Lackierer-Museum e.V." getragen, dessen Vorsitzender Rudolf Gregersen ist. Ihrem großen persönlichen Engagement ist zu verdanken, dass die große Geschichte dieses Handwerks nicht dem Vergessen anheimfällt. Ein bemerkenswertes Engagement, das Respekt, Beachtung und Förderung verdient. Mehr als es heute der Fall ist.

Deutsches Maler- und Lackierermuseum
Billwerder Billdeich 72
22113 Hamburg - Billwerder
Öffnungszeiten Februar – November
Samstag und Sonntag 10.00 – 13.00 Uhr
(c) Foto: bei Verwendung des beiliegenden Bildmateriales liegt das Copyright Fotografenmeister Wernfried Klutzen / Andreas Grzybowski